Entweder Steak oder Flug Mehrheit will CO2-Budget für jeden - So belügen sich die Deutschen selbst

Von Christoph Kapalschinski
Redakteur Wirtschaft & Innovation

Stand: 22.03.2023 | Lesedauer: 5 Minuten

In einer Umfrage sprechen sich Befragte aller Alters- und Einkommensklassen dafür aus, jedem Bürger nur eine begrenzte Menge CO2 zuzugestehen. Die Bürger müssten sich dann wohl zwischen Flügen, Fleisch und Co. entscheiden. Ein Psychologe warnt vor Selbstbetrug. "Die Leute wollen einerseits das komplexe Thema Klimaschutz an Wirtschaft und Politik delegieren. Andererseits wollen sie dennoch frei reisen und konsumieren", sagt ein Psychologe
Quelle: Getty Images/Daniel Garrido

Es ist eine Zahl, die radikale Klimaschützer freuen dürfte: Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist für ein CO2-Budget je Einwohner. Das bedeutet: Jeder würde eine begrenzte Anzahl an Emissionsrechten für CO2-intensive Dinge wie Flüge, Fleisch oder andere Güter bekommen. Ist das Budget aufgebraucht, dürfte im jeweiligen Jahr nichts mehr konsumiert werden, das zum Klimawandel beiträgt.

Zumindest in einer repräsentativen Umfrage der Europäischen Investitionsbank (EIB) sprechen sich 56 Prozent der Befragten dafür aus. Vor allem Jüngere sind dafür, doch auch bei den über 30-Jährigen gibt es eine Mehrheit. Und: Alle Einkommensgruppen befürworten solch eine Maßnahme gleich deutlich.

Zwar steckt hinter der Umfrage ein Ziel: Die öffentliche Förderbank der EU will auf die Finanzierungen für grüne Projekte hinweisen, die sie anbietet. Die Studie zeigt aber auch die hohe Bereitschaft der Europäer, für den Klimaschutz staatliche Regulierung in Kauf zu nehmen.

Oder doch nicht? "Ich würde solche Aussagen mit Vorsicht genießen", sagt jedenfalls Frank Quiring. Der Wirtschaftspsychologe ist einer der Geschäftsführer des Kölner Instituts Rheingold. Er zweifelt nicht an den Zahlen - aber an ihrer Aussagekraft. Gerade die jüngere Generation fordere tatsächlich harte Maßnahmen vom Staat und von Unternehmen.

"Ursache ist ein Ohnmachtsgefühl, nicht nur beim Klima, sondern auch bei Themen wie Corona und dem Ukraine-Krieg", analysiert Quiring. Für Jüngere gehöre Klimaschutz zudem zur eigenen Identität, ähnlich wie das Thema Gender-Gerechtigkeit. "Diese Themen helfen auch dabei, sich von der älteren Generation abzugrenzen", meint er.

Der tief empfundene Wunsch nach mehr Klimaschutz sei so stark, dass der eigene Konsum dagegen zurückstehen müsse - zumindest in solch abstrakten Fragestellungen wie denen der EIB. "Der Hedonismus kommt erst zutage, wenn man mit den Leuten bespricht, welche Einschränkungen konkret aus einem Klimabudget folgen würden", berichtet Quiring. In solchen längeren Gesprächen, die die Tiefenpsychologie erkunden sollen, bemerkt sein privates Institut einen Konflikt zwischen der Forderung nach Vorgaben und der individuellen Bereitschaft zum Verzicht.

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Angesprochen auf konkrete Einschnitte, die aus der Regulierung folgen würden, sei die Bereitschaft gering, etwa ein Flugverbot hinzunehmen, wenn das Klimabudget bereits durch Steakhouse-Besuche aufgebraucht ist. "Wir merken eine Spaltung. Die Leute wollen einerseits das komplexe Thema Klimaschutz an Wirtschaft und Politik delegieren. Andererseits wollen sie dennoch frei reisen und konsumieren", sagt Quiring.

Sollte ein CO2-Budget tatsächlich kommen, erwartet er heftigen Widerstand - wohl auch ein Grund, weshalb das Instrument nicht ernsthaft in der Berliner und Brüsseler Spitzenpolitik diskutiert wird.

Am Ende zählt doch verstärkt der Preis

Dazu stehen weitere Ergebnisse der Umfrage nicht im Widerspruch. Demnach wäre zwar knapp die Hälfte der Befragten dafür, die Menge an Fleisch und Milchprodukten zu begrenzen. Außerdem wären 61 Prozent der Befragten in Deutschland bereit, etwas mehr Geld für Lebensmittel auszugeben, wenn diese regional und nachhaltig produziert sind.

Doch auch hier sieht der Psychologe Quiring eine Abweichung zwischen Vorsatz und Handeln. Im Laden achteten die meisten Käufer nämlich doch verstärkt auf den Preis - erkennbar in der aktuellen Inflationszeit etwa im Abwandern aus Bio-Läden zu Bio-Eigenmarken der Discounter. "Es sparen auch Menschen, die das eigentlich nicht müssten. Da gerät die Nachhaltigkeit unter die Räder", sagt Quiring.

Überraschend ist bei der Fragestellung der Brüsseler Banker zudem die Konzentration auf ein staatlich verordnetes CO2-Budget. Denn eigentlich gibt es ja bereits eine seit Jahrtausenden bewährte Begrenzung für den Konsum: das Geld. Über dieses Medium regeln Gesellschaften ihren Umgang mit Knappheiten. Darauf basiert auch das System von handelbaren Verschmutzungszertifikaten, das international 1997 im sogenannten Kyoto-Protokoll vereinbart worden ist.

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Quelle: WELT

Die Idee: Weltweit wird eine progressiv sinkende Menge an akzeptablem CO2-Austausch festgelegt und verbrieft. Wer CO2 ausstößt, braucht ein entsprechendes Zertifikat. Das macht individuelle Budgets für Unternehmen oder Verbraucher überflüssig: Der CO2-Ausstoß spiegelt sich im Preis eines Produkts. Letztlich entscheiden die Verbraucher, ob ihnen eine Flugreise oder ein Stück Fleisch den Preis wert ist.

Liegt die Nachfrage nach klimaschädlichen Produkten und Dienstleistungen zu hoch, steigt der Preis so lange, bis die Nachfrage sinkt. Das funktioniert traditionell bei knappen Gütern von Nahrung bis Gold - sollte also auch bei CO2 funktionieren. Klar ist: Reiche können so mehr konsumieren und CO2 ausstoßen. "Dennoch könnte ein solches System in seiner Lenkungswirkung ohne direkte Verbote mehr Akzeptanz finden als ein festes Klimabudget", meint Experte Quiring.

Allerdings verweist die Umfrage auch auf Grenzen, an die das Zertifikate-System bislang zu oft stößt. So sind die Klimafolgen für viele Produkte nicht umfassend erfasst - und auch nicht durch Zertifikate hinterlegt. Entsprechend verlangen die Befragten zu 80 Prozent, auf allen Lebensmittelprodukten die jeweilige Klimabilanz anzugeben.

Dass es dazu zeitnah kommt, ist eher unwahrscheinlich. Die Lebensmittelbranche ist derzeit damit befasst, eine einheitliche Nährwertkennzeichnung etwa im Nutri-Score in Kategorie von A bis E anzugeben. Dazu kommt bei Fleisch die Angabe von einheitlichen Haltungsstufen. Über ein zusätzliches Klimasystem wird daher nicht diskutiert.

Konkretere Ideen hat hingegen die Kosmetikbranche. Die großen Konzerne von Beiersdorf bis Unilever arbeiten an einem EcoScore ähnlich dem Nutri-Score, der die Umweltauswirkungen zeigen soll. In der Branche tut sich auch technologisch etwas: Am Dienstag meldete der Beauty-Weltmarktführer L'Oréal eine Investition zusammen mit Unilever und dem japanischen Kosmetik-Unternehmen Kao in ein Start-up, das chemische Inhaltsstoffe über Biotechnologie durch biobasierte Alternativen ersetzen will.

"Die nun erfolgte Investition soll dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck der Schönheitsindustrie weiter zu reduzieren", heißt es dazu von L'Oreál. Ungenannt blieb allerdings die Höhe der Investition. Womöglich ist auch den Manager das Portemonnaie näher als das Klima.


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